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Lernen als individueller Prozess – Lerntheoretische Grundlagen

Der Artikel ist vollständig erschienen in: Vogt, K. (2017). Lernen als individueller Prozess – Lerntheoretische Grundlagen. Handbuch der Schulberatung, 109, 1-20.

Schülerinnen und Schüler möglichst effektiv und nachhaltig zum Lernen anzuregen, ist das Ziel pädagogischen Handelns. Um Lernprozesse bewusst zu planen und zu reflektieren, ist es für Lehrkräfte hilfreich und ratsam, sich mit den diversen Konzepten des Lernens und den damit einhergehenden klassischen Theorien auseinanderzusetzen. Denn wer die verschiedene Auffassungen des Lernens und die damit verbundenen Folgerungen für die Praxis durchdrungen hat, kann erkennen, welcher Faktoren es bedarf, Lernprozesse optimal zu gestalten. Je nach Lern- oder Wissensgegenstand, je nach individuellen Vorlieben und Lerntypen sind unterschiedliche Vermittlungsstrategien und Lernszenarien ratsam. Je nach gewähltem Lernarrangement oder Lehrsituation sind unterschiedliche Lernprozesse und Lernerfolge möglich. Der folgende Beitrag liefert hierzu eine Grundlage.

Für die pädagogische Praxis sind drei grundlegende psychologische Lerntheorien von großer Bedeutung, die sich vor allem in einer jeweils veränderten Rolle des Lernenden unterscheiden – weg vom passiven hin zum aktiven Lerner: Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus. Diese Theorien fußen letztlich auf gemeinsamen neurobiologischen Grundlagen und bilden wiederum den theoretischen Ausgangspunkt für zahlreiche Lehr-Lern-Modelle, die die moderne didaktische und pädagogische Literatur prägen und den Hintergrund für die Ausgestaltung von Unterricht bilden.

Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus sind keine voneinander losgelösten Theorien. Sie bauen nicht nur historisch aufeinander auf, sondern besitzen auch unter pädagogischen, philosophischen und psychologischen Gesichtspunkten zahlreiche Anknüpfungspunkte. Letztlich rekurrieren sie gemeinsam auf ein neurophysiologisches Fundament. Daher sind die im Folgenden ausgeführten Aussagen zur Biologie des Lernens immer additiv, nie exklusiv zu verstehen.

Lernen: Begriffsbestimmung und die neurophysiologischen Grundlagen

Was ist Lernen?

In der Psychologie ist das Lernen zwar einer der meist untersuchten Gegenstände, aber eine einheitliche Definition des Lernens gibt es nicht, denn der jeweilige lerntheoretische Hintergrund beeinflusst Sichtweise und Schwerpunktsetzung dessen, was unter dem Begriff Lernen verstanden wird. Jedoch lässt sich auf einer sehr allgemeinen Ebene eine gemeinsame Vorstellung bzw. ein definitorischer Kern von Lernen identifizieren, sofern man Lernen unter einem kognitiven Aspekt betrachtet und beispielsweise motivationale, ethische und soziale Belange zunächst nicht ins Zentrum rückt. Hasselhorn und Gold (2006) definieren Lernen als „einen Prozess, bei dem es zu überdauernden Änderungen im Verhaltenspotenzial als Folge von Erfahrung kommt“ (S. 35). Von einem Potenzial sprechen sie deshalb, weil das Lernergebnis nicht unmittelbar an konkret beobachtbares Verhalten gebunden sein muss.

Was ist Reifung?

Der Prozess des Lernens, der durch die Notwendigkeit von Erfahrungen gekennzeichnet ist, welche zielgerichtet auf einen bestimmten Lerngegenstand gerichtet sind, unterscheidet sich von anderen Veränderungsprozessen, beispielsweise dem der Reifung. Dies ist ein ungesteuerter Prozess, der selbst dann abläuft, wenn die Lebensbedingungen Erfahrungen erschweren oder unmöglich machen, und der nicht auf Übung, Erziehung oder Sozialisation beruht. Reifung verläuft auf Grundlage der Entfaltung eines Genprogramms. In der Entwicklungspsychologie werden beobachtete Veränderungen auf Reifung zurückgeführt, wenn sie universell in einer Altersperiode und ohne Lernen in einem weiteren Sinn auftreten. Alle gesunden Kinder können beispielsweise um den 12./13. Lebensmonat laufen, und bilden Zwei-Wort-Sätze um den 18. Lebensmonat (Oerter & Montada, 2002).

Wie hängen Lernen und Reifung zusammen?

Nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass Reifung und Lernen in engem Zusammenhang stehen. So müssen für diverse Lernprozesse zunächst spezifische Reifungs- oder Entwicklungsphasen abgeschlossen sein, um entsprechende Erfahrungen überhaupt zu ermöglichen. Beispielsweise können Kinder schon vor ihrer Geburt gut hören. In den ersten sechs Lebensmonaten lernen sie, Laute ihrer Muttersprache differenziert zu unterscheiden. Die Fähigkeit zur Lautunterscheidung hinsichtlich anderer Sprachfamilien wird zurückgefahren (Spitzer, 2002). Wesentlich später (zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr) bilden Kinder dann die Fähigkeit aus, Bilddarstellungen zu verstehen und mental zu rotieren, also zu erkennen, dass es sich bei zwei Darstellungen eines Gegenstandes um denselben handelt, der lediglich aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt ist (Oerter & Montada, 2002). Beide Reifungsprozesse sind essentiell zum Erlernen des Lesens und Schreibens (Steinbrink et al., 2008): (1) die Fähigkeit zur Differenzierung ähnlich klingender Laute, wie beispielsweise b und p, (2) die Fähigkeit zur mentalen Rotation und deren Unterdrückung, also zwei Symbole d und b als verschieden zu interpretieren. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, das Erlernen von Lesen und Schreiben beliebig in frühere Lebensjahre vorzuverlegen.

Lernen ist aus neurowissenschaftlicher Sicht Wissensaneignung, aufgrund derer sich das Gehirn ein Modell der Umwelt aufbaut, das als Grundlage für die weitere Handlungsplanung dient. Eine zentrale Rolle für das Lernen spielt der Hippocampus, der sich im stammesgeschichtlich ältesten Teil des Gehirns befindet. Er befindet sich im Temporallappen und ist eine zentrale Schaltstation des limbischen Systems. Es gibt einen Hippocampus pro Hemisphäre. Der Hippocampus fungiert als Neuigkeits- und Aufmerksamkeitsdetektor, beurteilt alle einkommenden Informationen auf ihren Neuigkeitswert sowie ihre Relevanz und nimmt diese in der Funktion eines Kurzspeichers auf. Schädigungen dieser Hirnregion führen beim Menschen zur Unfähigkeit, neues Wissen auf Dauer zu lernen (Spitzer, 2002).

Die Instanz, die dazu dient, das Ergebnis des Lernprozesses zu konservieren und erworbenes Wissen ebenso wieder abzurufen, ist das Gedächtnis. Man unterscheidet u. a. das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis. Seine physiologische Entsprechung findet das Langzeitgedächtnis in den Aktivitätsmustern neuronaler Netzwerke, deren Grundbausteine synaptische Verbindungen von Nervenzellen sind (Kandel et al., 2000; Gassen, 2008).

Das neuronale Korrelat der Reifung findet sich nicht in der Zunahme von Nervenzellen. Vielmehr ist es sogar so, dass in den ersten Lebensmonaten eine Vielzahl derer durch Apoptose (den programmierten Zelltod) zugrunde gehen. Zur  Zunahme des Gehirnvolumens kommt es zum einen durch Synapsenbildung, zum anderen durch die Myelinisierung von Nervenfasern. Die isolierende Myelinscheide bewirkt, dass die Nervenleitgeschwindigkeit erheblich erhöht wird, verschiedene Hirnareale also schneller kommunizieren können. Die Myelinisierung von Nervenfasern ist im Alter von 20 bis 25 Jahren abgeschlossen und ist gekoppelt an den Prozess des Purning, einen Umstrukturierungsprozess, in dessen Rahmen synaptische Verbindungen gelöst, neu verbunden und dadurch optimiert werden. Dieser Prozess beginnt bei den evolutionsgeschichtlich ältesten Teilen des Gehirns, welche basale Prozesse wie Sehen, Bewegung und Sprache steuern, und endet im frühen Erwachsenenalter im Frontalcortex, in dem kognitive Prozesse ablaufen (Blakemore & Choudhury, 2006). So erklärt sich, dass bestimmte Lernprozesse wegen noch nicht abgeschlossener Gehirnreifung erschwert oder nicht möglich sind.

Lerntheorien

Lerntheorien – und die darin enthaltenen Konstrukte – versuchen, Lernen psychologisch zu beschreiben und zu erklären. Der komplexe Vorgang des Lernens wird dabei mit möglichst einfachen Prinzipien und Regeln erklärt. Die Lernpsychologie entwickelt solche Theorien und überprüft mit Hilfe empirischer Untersuchungen ihren Gehalt. Die Adaptation psychologischer Forschungsergebnisse in der pädagogischen Praxis hat sich jedoch in der Vergangenheit des Öfteren als schwierig erwiesen, da den in der Regel unter Laborbedingungen durchgeführten Experimenten der Lernpsychologie die Faktorenvielfalt der realen Lehr-Lern-Praxis fehlen. So betrachten die folgenden Theorien in erster Linie kognitives Lernen und vernachlässigen beispielsweise motivationale oder soziale Bedingungen eines Lernszenarios. Dennoch sind sie geeignet, als Basis zur Planung von Unterricht zu dienen.

Die im Folgenden beschriebenen drei Lerntheorien bauen historisch und inhaltlich aufeinander auf, wobei sie sich in Teilen ergänzen, in anderen Teilen dagegen ausschließen. Am Ende eines jeden Kapitels finden sich Hinweise auf die jeweils zugrunde liegenden neurobiologischen Prozesse. Dabei ist zu beachten, dass auch diese Erklärungsansätze aufeinander aufbauen und nicht komplementär betrachtet werden können. Ein endgültiges Urteil darüber abzugeben, welche Theorie Lernen „am besten“ erklärt, ist unmöglich.

Grundzüge der Theorie

Beim Behaviorismus handelt es sich um eine der ältesten lernpsychologischen Strömungen, die ihre Anfänge im 19. Jahrhundert hatte und sich ab etwa 1920 durchsetzte. Die wichtigsten Vertreter dieser Lerntheorie waren I. P. Pawlow (1849-1936), J. Watson (1878-1958), E. Thorndike (1874-1949) und B. F. Skinner (1904-1990).

Kernpunkt der behavioristischen Sichtweise ist die Beschreibung und Steuerung von Lernen durch Hinweisreize und Verstärkung erwünschten Verhaltens. Lernen wird hierbei als Bilden von Assoziationen (beispielsweise zwischen zwei Wissenseinheiten oder zwischen Reiz und Reaktion) verstanden. Der Lernende wird als „Black Box“ angesehen und übernimmt eine passive Rolle. Den intrapsychischen Prozessen (beispielsweise Problemlösekompetenzen), die zum Lernen führen, wird keine Aufmerksamkeit geschenkt. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass Lernen durch Belohnung und Bestrafung gesteuert wird. Diese Auffassung postuliert, dass sich Menschen am ehesten in einer bestimmten Art und Weise verhalten, wenn sie dafür belohnt werden. Es kommt folglich zur Stärkung bzw. Abschwächung von Assoziationen infolge von Handlungskonsequenzen. Die elementarste Form der Assoziationsbildung beruht auf räumlicher oder zeitlicher Nähe zweier Reize.

Bedeutung für die schulische Praxis

Während man mit dem Behaviorismus üblicherweise nur das Lernen durch Bilden von Assoziationen mit den klassischen Experimenten (Pawlowscher Hund, Skinner-Box) verbindet, besteht auch Relevanz für den unterrichtlichen Bereich, v. a. beim Erwerb von Faktenwissen (z. B. Vokabeln, kleines Einmaleins). Rein behavioristische Lehr-Lern-Situationen haben überall dort ihre Berechtigung, wo es darum geht, dass statisches Faktenwissen zunächst erworben werden muss. Beispielsweise weist das Lernen von Vokabeln als Lerngegenstand diese Voraussetzungen auf. Für die Praxis heißt das, dass kleinschrittige, wiederholende Übungen überall da mit Erfolg eingesetzt werden können, wo das Lernmaterial in Form möglichst kleiner Einheiten vorliegt, also nicht erst durch mehr oder weniger begründbare Eingriffe von außen in kleine Teile zerlegt werden muss; gleichzeitig ist eine zeitnahe Belohnung bzw. ist ein positives Feedback notwendig.

Am Behaviorismus wurde vielseitig Kritik geübt: Ein Hauptkritikpunkt liegt in der eingeschränkten Auffassung über die Natur des Lernens, welche individuelle Faktoren beim Lernenden komplett vernachlässigt und ihn im Sinne einer „Nürnberger-Trichter-Didaktik“ als vollkommen passiv annimmt. Sie beschränkt sich des Weiteren auf die Vermittlung stark kleinschrittigen Wissens. Dieses rezeptive, passive Lernen ist auf reine Wiedergabe vorgegebener Lerninhalte, also Faktenwissen, konzentriert.

Direkten Einfluss auf die schulische Praxis nahm bereits 1958 Skinner mit seinem Konzept der Programmierten Instruktion. Dabei wird vorgeschlagen, den Unterrichtsstoff in einer Abfolge von kleinkörnigen Fragen und Antworten zu präsentieren. Beginnend mit eher leichten Themen wird der Schwierigkeitsgrad langsam gesteigert. Die Lernziele müssen möglichst objektiv und eindeutig formuliert sein, so dass sie von jedem Lerner in selbst gewähltem Tempo, aber vorgegebener Reihenfolge bearbeitet werden können. Es muss auf jede Fragebeantwortung ein sofortiges Feedback erfolgen. Für ausdauerndes und erfolgreiches Arbeiten sind zusätzliche Belohnungen vorgesehen. Skinner nannte die nach diesen Prinzipien entwickelten Unterrichtsmaterialien „Programme“. Es wurden stark veränderte Lehrbücher und mechanische Geräte zur veränderten Aufgabenpräsentation geschaffen. Moderne Lernsoftware nutzt das Konzept von heute unter dem Begriff tutorielle Systeme. Diese sind zu unterscheiden von intelligenten tutoriellen Systemen (siehe Konstruktivismus) und sind insofern behavioral geprägt, als dass sie klar umrissene Wissenselemente in fester Reihenfolge präsentieren und eine richtige Antwort des Lernenden verstärken.

Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit Lernen durch Belohnung in der pädagogischen Praxis erwähnt werden sollte, bewegt sich ein Stück weg vom Erlernen reinen Faktenwissens (also kognitivem Lernen) und hin zur Beeinflussung der Motivation und des Selbstwertes von Schülerinnen und Schülern. Wenn Lernerfolg nicht (mehr) auf eigenes Wissen und Können zurückgeführt wird, kann es sich motivationsfördernd auswirken, ein sog. Reattributionstraining durchzuführen. Hier hat es sich bewährt, zeitnah unmittelbaren Erfolg durch positives Feedback zu kommentieren (z. B. „Du hast das sehr gut gemacht.“ oder „Du hast dich sehr angestrengt.“). Misserfolge im Lernprozess werden hingegen so verstärkt, dass sie auf unzureichende Anstrengung zielen (z. B. „Da hast du nicht richtig aufgepasst.“) oder Ausblick auf Verbesserungsmaßnahmen geben (z. B. „Das musst du dir nochmals anschauen.“). Auf diese Weise sollen durch Verstärkung negative Attributionsstile wieder gelöscht werden (Rustemeyer, 2007).

Biologische Aspekte

Grundvoraussetzung für die Bildung des Langzeitgedächtnisses sind plastische Veränderungen des neuronalen Netzwerks, die darauf beruhen, dass sich die synaptischen Verbindungen innerhalb des Netzwerks aktivitätsabhängig verändern (Sejnowski, 1997). Schon 1949 nahm D. Hebb aufgrund theoretischer Überlegungen an, dass sich Neuronenverbände bei Lernvorgängen funktionell zu höheren Einheiten (cell assemblies) verbinden. Kommt es dabei zu einer wiederholten gleichzeitigen Aktivierung von zwei miteinander verschalteten Neuronen, sollte das zu einer erhöhten Effizienz der Synapsen und zu einer Stabilisierung dieser Verbindung führen. Vergleichbar ist dieser Prozess mit einem oft begangenen Weg: Geht eine Person über eine Rasenfläche, beeinflusst dies nicht die Qualität des Grüns. Gehen täglich mehrere Personen wiederholt denselben Weg, dann verschwindet über die Zeit die Grasnarbe und es bildet sich ein Pfad.

Als zelluläre Grundlage für die Effizienzsteigerung von Synapsen wird ein chemischer Prozess, der als Langzeit-Potenzierung (LTP) bezeichnet wird, verantwortlich gemacht. Wenn ein prä- und ein postsynaptisches Neuron gleichzeitig elektrisch gereizt werden, antworten sie mit einer Tage bis Wochen andauernden funktionellen und morphologischen Verstärkung ihrer synaptischen Verbindung, in anderen Worten: Ihre Struktur, Form und Funktionsweise ändern sich (Gassen, 2008).

Genau dieser Umstand liefert die neurowissenschaftliche Erklärung zur Wirkungsweise des behavioristischen Lernmodells. Je öfter also ein Sachverhalt dem Lerner präsentiert wird, beispielsweise durch wiederholtes Üben, desto intensiver wird die Synapsenbildung zwischen Nervenzellen, die beispielsweise die Gestalt eines  Gegenstandes und seine Bedeutung repräsentieren. Ein konkretes Beispiel wäre etwa das Sprachverständnis. Hierbei werden Synapsen zwischen dem auditiven und/oder dem visuellen Cortex, welche Informationen rezeptiv verarbeiten, und dem Wernicke-Areal, welches das Gehörte oder das Gesehene integrativ verarbeitet und mit Sprache bzw. Bedeutung versieht, geknüpft (Kandel et al., 2000). 

Grundzüge der Theorie

In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es zur „kognitiven Wende“ und damit historisch betrachtet zu einer Gegenbewegung zum Behaviorismus. Als die wichtigsten Vertreter dieser Lerntheorie gelten J. Piaget (1896-1980), A. Bandura (* 1925), R. M. Gagné (1887-1967), J. S. Bruner (1915-2016), A. Ellis (1913-2007) und A. T. Beck (1921).

Während der Behaviorismus als Ansatzpunkt das konkret beobachtbare Lernverhalten hat und der Lerner als durch äußere Reize steuerbar angenommen wird (Reiz-Reaktionsansatz), konzentriert sich der Kognitivismus auf die beim Lernen intern ablaufenden Prozesse der Informationsverarbeitung, also den Teil, den die Behavioristen bewusst als „Black Box“ ausgegrenzt und als wissenschaftlich nicht erfassbar ausgeblendet hatten. Gegenstand der Betrachtung ist der Mensch als ein Individuum, das Reize aktiv und selbstständig verarbeitet, bei dem also beim Lernen Vorgänge wie Wahrnehmen, Erkennen, Verstehen, Bewusstwerden, Denken, Vorstellen, Interpretieren, Problemlösen, Entscheiden oder Urteilen ablaufen.

Im kognitiven Grundmodell wird Lernen als Informationsverarbeitungsprozess aufgefasst. Lernen wird als Internalisierung, als Aufbau von mentalen Modellen, Schemata oder Ähnlichem verstanden. Die Informationsverarbeitung erfolgt im Gehirn, das mit seinem sensorischen Register Informationen aufnimmt, im Kurzzeitgedächtnis diese Inhalte mit dem bereits vorhandenen Wissen in Zusammenhang setzt, gegebenenfalls ergänzt und im Langzeitgedächtnis schließlich dauerhaft konserviert und hier zu erneutem Abruf zur Verfügung stellt.

Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei die kognitiven Entwicklungstheorien. Jean Piaget, ihr führender Vertreter, geht davon aus, dass Handlungsweisen in so genannten Schemata zusammengefasst werden, die als organisierte Wissenskomplexe typische Zusammenhänge eines Realitätsbereichs charakterisieren. Schemata repräsentieren nicht einfach Definitionen für bestimmte Sachverhalte, sondern verallgemeinerte Erfahrungen, die mit Gegenständen und Ereignissen gemacht worden sind (Hasselhorn & Gold, 2006). Sie können in Subschemata unterteilt oder ihrerseits in übergeordnete Schemata eingebettet sein. Piaget (1971) beschreibt zwei grundlegende Lernprozesse als Austauschvorgänge mit der Umwelt:

  • Assimilation: Unter Assimilation versteht Piaget die aktive Einordnung von Ereignissen und ihre Deutung vor dem Hintergrund bekannter Schemata. Der Organismus nimmt also nur das wahr, was in seine schon bekannten Strukturen passt. Assimilation ist also stets eine Reduzierung neuer Erfahrungen.
  • Akkomodation: Beim Vorgang der Akkomodation wird dagegen ein bestehendes Schema durch zusätzliche Erfahrungen der Umwelt angepasst, das Neue in die schon vorhandenen kognitiven Strukturen eingefügt.

Ein vereinfachtes Beispiel dazu: Ein Kleinkind kennt die Katze des Hauses, nennen wir sie „Minka.“ Im Laufe von Monaten lernt es weitere Katzen kennen, nämlich z. B. „Bella“ und „Lilli.“ Das Kind lernt also, dass das individuelle Tier in die Gattung der Katzen gehört. Darauf folgt das Kennenlernen diverser Kater. Deshalb lernt das Kind nun, dass in der Gattung der Katzen zusätzlich zwischen weiblichen und männlichen Tieren unterschieden werden muss. Und weil das Kind nicht nur Katzen kennt, sondern auch Hunde, muss es die Haustiere zusätzlich in mehrere Gattungen unterscheiden usw. Mit fortschreitender Entwicklung und Erfahrung erfolgt die Einordnung von neuen Informationen also weg von konkreten Einzelereignissen hin zu immer verzweigteren und auch abstrakteren Modellen und Schemata.

Bedeutung für die schulische Praxis

Lehren gemäß dem Kognitivismus funktioniert folgendermaßen: Eine Lehrkraft sorgt bewusst für eine Einbettung bzw. „Verankerung“ des Neuen in vorhandene Kenntnisse, sie legt also zunächst eine Rangfolge der notwendigen Vorkenntnisse bezüglich des Lerngegenstandes fest. Auf diese Weise ergibt sich eine sinnvolle Sequenzierung des zu erwerbenden Wissens und eine entsprechende Unterrichtsgestaltung (vgl. dazu die Theorien des Instructional Design; Reigeluth, 1983).

Die Lehrkraft wird im Kognitivismus als so genannter didactic leader (Hasselhorn & Gold, 2006) des Lerngeschehens verstanden. Sie legt den Lernstoff und seine zeitliche Abfolge fest. Anders als beim Behaviorismus geht es im Lernprozess aber nicht nur um die pure Wiederholung von Faktenwissen, sondern der Lernende kann seinen Lernprozess – auch verursacht durch die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in Form von Vorwissen methodischer oder faktischer Art – aktiv und individuell gestalten. Dabei fungiert die Lehrkraft als Tutor, indem sie Hilfestellungen, beispielsweise so genannte Advanced Organizer (vgl. Ausubel, 1960) anbietet. Diese dienen dazu, Beziehungen zwischen dem neu zu lernenden Material und bereits Bekanntem herzustellen. Sie wecken und lenken die Aufmerksamkeit des Lerners und sollen daher möglichst konkret formuliert sein.

Ausubel hielt es für wichtig, dass Schülerinnen und Schüler zur  Einführung in ein neues Thema einen Überblick darüber erhalten, was sie mit welchen Methoden und zu welchen Zwecken lernen sollen. Die Lerner sollen zu Beginn des Lernprozesses das größere Bild sehen, woraufhin sie besser lernen, weil sie Kontexte assoziieren und den Lernstoff insgesamt besser und variantenreicher verankern und verknüpfen können. Advanced Organizer können dabei facettenreich gestaltet sein: Es bieten sich Flussdiagramme, Mindmaps oder Schemazeichnungen an. Aber auch die Unterstützung durch Marginalien, Unterstreichungen oder zusammenfassende Kästen können helfen, beispielsweise einen Text vorab strukturierend zu gliedern.

Sowohl die Vernetzung von Kenntnissen und ihre Anbindung an Vorwissen, als auch die aktive und individuelle Gestaltung von Lernprozessen aufgrund einer Heterogenität der Schülerschaft, sind Gegenstand der modernen didaktischen Diskussion (u. a. Debatten um Gender, Begabung, und Ungleichheit der Bildungschancen). Ebenso erfährt die Auffassung der Lehrerrolle als Berater statt reinem Input-Geber einen regen Diskurs. Gleichzeitig fehlen dem Ansatz des Kognitivismus jedoch auch weiterhin noch immer zahlreiche Elemente eines eigenverantwortlich und weitgehend selbstgesteuerten Lernens, wie es der Konstruktivismus beschreibt (siehe unten). 

Biologische Aspekte

Für basale Lernprozesse, wie sie der Behaviorismus betrachtet, liefert die Synapsenbildung auf rein zellulärer Ebene eine hinreichende Erklärung. Bei höheren Lernprozessen, bei denen der Anknüpfung an bestehendes Vorwissen des Menschen – wie im Kognitivismus und im Folgenden auch beim Konstruktivismus – zentrale Bedeutung zukommt, stehen die Entwicklung und Gestalt von neuronalen Netzwerken im Vordergrund. Diese stellen die biologische Entsprechung der o. g. kognitiven Schemata dar.

Der Hippocampus beurteilt durch Vergleich von bereits gespeichertem Wissen mit neu ankommenden Informationen nicht nur deren Neuigkeitswert, sondern stellt auch fest, in wie weit die neuen Informationen in die bereits bestehenden Strukturen eingebaut werden können, zu welchen Nervenzellen also Synapsen gebildet werden müssen. Die positiven Effekte des Widerholens und einer längeren Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand entstehen also nicht nur durch den wiederholten Ablauf immer gleicher „Gedächtnisspuren“, sondern vor allem auch dadurch, dass durch die längere Beschäftigung mit einem Sachverhalt und die verstärkte Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand eine intensive Analyse der Information durchgeführt werden kann, die den Zugang zu bereits bestehenden Gedächtnisinhalten eröffnet (vgl. Markowitsch, 2002).

Ein anschauliches Beispiel für neuronalen Netzwerke ist die Repräsentation von Sprache im Gehirn:

  • Wie bereits oben angedeutet, ist das Verständnis von Sprache im sog. Wernicke-Areal repräsentiert.
  • Das Broca-Areal, welches bei Rechtshändern linkshemisphärisch liegt, steuert die Sprachproduktion der Muttersprache.

Aber gilt das auch für eine erlernte Fremdsprache? Moderne Verfahren der Neurowissenschaften wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (MRT) können sozusagen „dem Gehirn beim Denken zusehen.“ So konnte gezeigt werden, dass beim Sprechen einer Fremdsprache ebenso sowohl das Wernicke-Areal – also die Hirnregion, welche für das Verständnis von Wörtern zuständig ist – aktiviert ist, als auch eine Entsprechung des Broca-Areals, allerdings auf der anderen Hemisphäre. Das bedeutet, dass die Muttersprache und eine Fremdsprache zwar andere Orte der Sprachproduktion im Gehirn aufweisen, aber die Wortbedeutung im gleichen Hirnareal hinterlegt ist (Krick & Reith, 2003). Beim Fremdsprachenlernen knüpft der Lerner also bei der Sprachbedeutung an L1 an.

Diese Erkenntnis gilt es für den Unterricht zu nutzen, indem Lernsituationen angeboten werden, in denen Schülerinnen und Schüler über ein hohes Maß an kognitiver Aktivität (z. B. durch Vergleichen, Strukturieren, Beurteilen, Argumentieren) möglichst viele Verknüpfungen zu bereits Bekanntem ausbilden.

Grundzüge der Theorie

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts gewinnt der Konstruktivismus zunehmend an Bedeutung. Die Theorie geht auf die Arbeiten des Entwicklungspsychologen J. Piaget (1896-1980) und des Schweizer Psychologen und Pädagogen H. Aebli (1923-1990) zurück. Zu den Klassikern der konstruktivistischen Sicht auf das Lernen zählen J. Dewey (1859-1952; pragmatischer Konstruktivismus), K. Reich (*1948, pragmatischer Konstruktivismus) und L. Vygotsky (1896-1935; sozialer Konstruktivismus). Weitere wichtige Vertreter sind die beiden Mitbegründer des radikalen Konstruktivismus E. von Glasersfeld (1917-2010) und H. Maturana (*1928), als Vertreter des soziokulturellen Konstruktivismus S. J. Schmidt (*1940). Der spätere gemäßigte Konstruktivismus wird beispielsweise vertreten durch P. Watzlawick (1921-2007).

Der Konstruktivismus betrachtet ebenso wie der Kognitivismus den Wissenserwerb als individuellen Aufbauprozess und nicht wie der Behaviorismus als mechanischen Abbildungsprozess. Der lernende Mensch wird darüber hinaus als zielgerichtet handelnde Person aufgefasst, die aktiv nach Informationen sucht, diese vor dem Hintergrund ihres Vorwissens interpretiert und daraus neue Auffassungen und Konzepte von der Wirklichkeit ableitet (Hasselhorn & Gold, 2006). Die vermeintlich objektive Wirklichkeit wird dabei subjektiv konstruiert und auf der Basis bereits bestehender Wissenselemente interpretiert und erlangt durch den gemeinsamen Kommunikationsprozess Verbindlichkeit.

Im Gegensatz zum Kognitivismus hält der Konstruktivismus die Vermittlung von Wissen für unmöglich, da nach seiner Auffassung Lernen primär durch das Individuum und nicht durch die Umwelt bestimmt wird, also Wissen immer wieder individuell konstruiert, reorganisiert und erweitert werden muss. Folglich gibt es nach dieser Auffassung keine Strategien zum optimalen Lernen. Lehrer übernehmen vielmehr die Rolle von Coaches bzw. Moderatoren, die den individuellen Konstruktionsprozess anregen und unterstützen, aber nicht steuern können. Ihre primäre Aufgabe wird in der Bereitstellung einer herausfordernden, möglichst reichen und authentischen Lernumgebung gesehen, so dass insbesondere an Vorwissen angeknüpft werden kann. Der Lerner besitzt dabei ein hohes Maß an Freiheit, sich Themengebiete selbstständig zu erschließen. Er erhält dazu Anregungen, Hilfen, Hinweise, Feedback und die Möglichkeit einen individuellen Lösungsweg zu gehen.

Bedeutung für die schulische Praxis

Der Konstruktivismus versteht Lehren nicht als Bereitstellen vorstrukturierter Lerneinheiten, sondern vielmehr als Schaffen von Lerngelegenheiten in förderlicher Lernatmosphäre. Er bildet eine theoretische Untermauerung aller offenen, vom Lerner mitbestimmten Lehr-Lern-Situationen.

Collins et al. (1989) haben dies beispielsweise im Cognitive Apprenticeship-Model aufgearbeitet. Durch die Verwendung bedeutsamer, komplexer Situationen der realen Welt, die in einem für den Lerner bereits bekannten, wichtigen Kontext stehen (Authentizität und Situiertheit) wird dem Lerner ein Wissensbildungsprozess ermöglicht, in dem eine Lehrkraft zunächst die Lösung einer Zielaufgabe modellhaft demonstriert (Modeling), dann unter der Bereitstellung von Lernhilfen angeleitet üben lässt (Scaffolding) und sich schließlich mitsamt der Hilfestellungen aus dem Lernprozess zurückzieht (Fading). Der  Lehrende muss  dabei  den  Lernprozess  der  Lerner  genau  beobachten,  um  adäquate  Hilfestellungen  geben zu können (Coaching). Anschließend wird das Gelernte gemeinsam reflektiert.

Dennen und Burner (2008) unterscheiden weiterhin unterschiedlich tiefe Formen des Eingebundenseins in eine Situation des Lernens oder Problemlösens:

  • Der außenstehende Betrachter, der eine Aktivität vor allem als Novize zunächst beobachtet, bevor er selbst handelnd einsteigt.
  • Der angeleitete Teilnehmer, der auf einem eher zu niedrigen Schwierigkeitsgrad angeleitet übt, um die Herangehensweise an komplexere Probleme zu verstehen.
  • Die Arbeitsgruppe, die sich aus einer eher peripheren Umwelt, Lernpartnern und Mentoren zusammensetzen kann.
  • Und letztlich der selbständige Lerner, der auf einem von ihm bewältigbaren und seinen Fähigkeiten entsprechenden Schwierigkeitsgrad Zielaufgaben löst.   

In der modernen Didaktik gewinnen konstruktivistische Ansätze in Form von Unterrichtmethoden, die eine zunehmende Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler anstreben und daher Formen selbstgesteuerten Lernens größeren Raum geben, immer mehr an Bedeutung. Insbesondere im Zusammenhang mit einer stärkeren individuellen Förderung von Schülerinnen und Schüler haben sich Aspekte wie Lehrer- und Schülerfeedback sowie Selbsteinschätzung bzw. Reflexion von Lernfortschritten als zielführend erwiesen. Sie finden Raum in Projekt- oder Wochenplanarbeit, welche eine äußerst freie und selbständige Form des Lernens zulassen. Auch kürzere Unterrichtseinheiten wie Stationenarbeit oder das Schülerexperiment sind geeignet, dem Lerner mehr Freiheit im Lernprozess zu geben.

Moderne Lernsoftware nutzt den Ansatz des Konstruktivismus unter dem Begriff intelligente tutorielle Systeme (ITS). Diese besitzen nicht nur ein Modul, das einen Wissensgegenstand in umrissene Teilgebiete (mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad) gliedert. Ein gutes ITS besitzt zudem ein Modul, das diverse Lernhilfen anbietet, z. B. indem es Zusatzinformationen in verschiedenen Modalitäten anbietet, Motivationsangebote macht, wichtige Informationen hervorhebt oder auf kognitive Lernstrategien hinweist (z. B. „Fertige eine Skizze an“ oder „Notiere die wichtigsten Informationen“). Nicht zuletzt bedient sich ein gutes ITS verschiedener Lehrstrategien, indem es z. B. entweder gezielt Fragen stellt, Wissensgegenstände gemäß den Aktionen des Lerners adaptiv und interaktiv anbietet und/oder die Lernfortschritte des Lernenden positiv verstärkt (Niegemann et al., 2008).

Biologische Aspekte

Die Lernprozesse des Konstruktivismus erfahren – ähnlich wie der Kognitivismus – ihre neurowissenschaftliche Entsprechung nicht auf unmittelbar zellulärer Ebene, sondern über eine makroskopisch-strukturelle Sicht. Dabei wird das in neuronalen Netzwerken angelegte Langzeitgedächtnis in seiner Struktur weiter untergliedert in: 

  • das komplexe episodisch-autobiographische Gedächtnis, welches singuläre Ereignisse inhalts-, zeit- und ortsabhängig spezifizieren kann,
  • das semantische Gedächtnis oder Wissenssystem, welches kontextfreie Fakten abspeichert,
  • das prozedurale Gedächtnis, das weitgehend motorische Fähigkeiten repräsentiert und unterbewusst ist und
  • das Priming-System, das durch unterbewusste Wahrnehmung einer Information ihre Wiedererkennenswahrscheinlichkeit erhöht (Kandel et al., 2000).

Diese feinstrukturellen Untereinheiten des Langzeitgedächtnisses interagieren in unterschiedlicher Art und Weise. Das episodische Gedächtnis etwa ist im rechten Frontalcortex repräsentiert und besitzt zahlreiche Verbindungen zu tiefer liegenden Hirnstrukturen, wie beispielsweise der Amygdala (Mandelkern), die für die Emotionen zuständig sind. Durch diese Verbindungen ist das episodische Gedächtnis sehr löschungsresistent. Können neue Wissensinhalte also nicht nur in vorhandene neuronale Netzwerke oder Schemata eingebettet, sondern zudem durch situierte Lernerfahrungen episodisch abgespeichert werden, erhöhen sich die Abrufwahrscheinlichkeit und die Qualität des Gelernten. Erfahrungen, zu denen wir eine eigene Erfahrung oder Emotion besitzen, können besser erinnert werden (Phelps, 2004).

Aber nicht nur Emotionen haben Einfluss darauf, Faktenwissen vernetzt zu speichern. Auch die Handlung selbst führt zu besserer Konsolidierung des Gelernten. Dies zeigt das Beispiel einer Ulmer Arbeitsgruppe (Spitzer, 2009): Die Neurowissenschaftler erfanden eine Reihe von Nobjects, abstrakte Gebilde mit unsinnigen Namen, mit denen spezielle Handlungen (greifen, drehen, stecken usw.) möglich sind. In mehreren Sitzungen mussten Studierende nun die Namen und die Funktion der Nobjects lernen. Die Ergebnisse: Studierende, die die Funktion nicht nur lernen, sondern auch handelnd bzw. pantomimisch ausführen, lernen besser. Im EEG und MRT zeigte sich erklärend, dass nicht nur die Hirnareale aktiviert wurden, die die Begriffe und Funktionen assoziieren, sondern auch der motorische Cortex. Der Lerner besitzt also einen weiteren Anker zum Abruf von Gelerntem.

Ein weiteres eindrückliches Beispiel dafür, dass eigenständiges bzw. sensumotorisches Handeln Lernen beeinflusst, findet sich bei Lappe et al. (2008). Hier konnte mit Hilfe von EEG-Untersuchungen gezeigt werden, dass das Spielen von Akkorden am Klavier, den auditiven Cortex derart stimuliert und strukturell verändert, dass Akkorde besser erhört werden können als in einer Kontrollgruppe, die nur auditiv mit Hörbeispielen trainiert hat.

Lernstrategien konkret

Im Folgenden soll ein Überblick über mögliche konkrete kognitive Lernstrategien für Schülerinnen und Schüler gegeben werden. Diese werden den jeweiligen Lerntheorien zugeordnet und sind gleichermaßen für den Unterricht oder zum häuslichen Lernen geeignet. Für alle kognitiven Lernstrategien gilt, dass sie sich im konkreten Lernprozess nicht gegenseitig ausschließen, sondern je nach individuellem Lernverhalten und Lernvorlieben sowie je nach den speziellen Anforderungen des Fachs oder der themenspezifischen Aufgaben in unterschiedlichem Ausmaß miteinander kombiniert werden können.

Innerhalb der kognitiven Lernstrategien werden drei Formen unterschieden (Mandl & Friedrich, 2006): (1) Wiederholungsstrategien dienen vornehmlich dem Lernen von Faktenwissen und sind daher dem Behaviorismus zuzuordnen. (2) Organisationsstrategien dienen der Organisation und Strukturierung von Wissenselementen sowie dem Erzeugen von Zusammenhängen. Sie werden im Kognitivismus verortet. (3) Elaborationsstrategien dienen dem Verstehen und dem auf Dauer angelegten Behalten neuer Informationen und stehen in der Tradition des Konstruktivismus.

Bei Wiederholungsstrategien handelt es sich um oberflächenorientierte Lernstrategien, da hier kein tieferes Verständnis angestrebt oder realisiert wird. Wiederholungsstrategien sind vornehmlich in Lernsituationen funktional, die von Prüfungsvorbereitungen gekennzeichnet sind und bei denen die Studierenden kein besonderes inhaltliches Interesse für die zu lernenden Wissensbestände aufbringen müssen. Zu den Wiederholungsstrategien zählen:

  • Karteikarten zum Vokabellernen nutzen
  • Vokabel-Memory spielen
  • Eselsbrücken bilden mit Merksätzen, Reimen oder Mnemotechniken
  • Auswendiglernen
  • Wiederholen oder lautes Vorsprechen von Wissenseinheiten (eigenständig oder abfragen lassen)

Organisationsstrategien weisen eine Mittelstellung zwischen Elaborations- und Wiederholungsstrategien auf: Sie können einerseits dazu dienen, unübersichtliche Strukturen durch Aufgliederung in wichtige Teilkomponenten besser zu verstehen. Dadurch, dass der Lerner stets weiß, wo eine neue Information „hingehört”, kann diese besser gelernt oder erinnert werden. Andererseits können sie aber auch dazu dienen, kleinere Wissenseinheiten für das spätere Einprägen vor konkreten Prüfungen vorzubereiten. Organisationsstrategien sind beispielsweise:

  • Lernposter mit Mindmaps, Skizzen, Diagrammen oder Tabellen erstellen
  • Zusammenfassung und/oder Gliederungen erstellen
  • Wichtige Schlüsselwörter unterstreichen bzw. markieren
  • Einen Lernplan/Reihenfolge erstellen
  • Fachausdrücke oder Definitionen in eigener „Merkliste“ zusammenstellen

Mit Hilfe von Elaborationsstrategien soll versucht werden, bereits vorhandenes Vorwissen über einen Gegenstandsbereich zu aktivieren und neues Wissen mit diesem zu verknüpfen. Elaborationsstrategien sind Strategien, bei denen die Tiefe der Verarbeitung erhöht wird, indem  neue Informationen in bestehende Wissensstrukturen (z. B. Vorwissen, Vorstellungsbilder) integriert werden, um so den Abruf des Wissens zu erleichtern. Dies gelingt z. B. durch Methoden, die dem zu lernenden Material eine Bedeutung verleihen:

  • Auf andere Quellen (z. B. Lexika, Internet) zurückgreifen
  • Beispiele aus dem Alltag finden
  • Analogien zu bereits Bekanntem (z. B. aus anderen Fächern oder Jahrgangsstufen) bilden
  • Alternativen ausdenken
  • Argumentationsketten finden
  • Über den Lernstoff in Lerngruppen diskutieren
  • Erklären in eigenen Worten

Unterricht muss dem zu vermittelnden Wissen und Können und den unterschiedlichen Lernpräferenzen innerhalb der Schülerschaft gerecht werden. Daher wird sich ein gelungener Unterricht durch Methodenvielfalt auszeichnen, in dem klassische Formen des Frontal- und Fragend-entwickelnden Unterrichts gleichberechtigt neben Stationenarbeit bis hin zu offenen Unterrichtsformen, wie z. B. einer Schülerfirma stehen.

Welchem methodischen Prinzip ein Unterricht aber auch immer folgen mag, jeglichem Unterricht sollte voraus gehen, dass Schülerinnen und Schülern einen Überblick darüber erlangen, welchem Ziel die Unterrichtseinheit dient oder wie sich ein Lernbereich in einen größeren Zusammenhang einordnen lässt.  Einen ausgezeichneten Überblick über die konstruktivistische Didaktik samt Methodenpool liefert Reich (2006).

Ein konstruktivistisch ausgerichteter Unterricht sollte Realbegegnungen ermöglichen, eine Methodenvielfalt bieten, selbstgesteuertes und exploratives Lernen ermöglichen und handlungs- bzw. kompetenzorientiert ausgerichtet sein. Lerngruppen bieten außerdem die Möglichkeit, dem Lernen eine zusätzliche Beziehungsebene zu geben.

Zudem sollte jeder Fachunterricht nicht nur den Erwerb fachlichen Wissens und Könnens thematisieren, sondern im Rückgriff auf die angebotene Methodenvielfalt das Lernen selbst thematisieren. Indem Schülerinnen und Schüler ihre Lernstrategien und angebotene Unterrichtsarrangements reflektieren, erwerben und erweitern sie ihr Metawissen darüber, wann welche Form des Lernens am besten geeignet und effektiv ist (siehe unten).

Letztlich sollen moderne Unterrichtsformen neben der Fach- und Methodenkompetenz auch die Selbst- und Sozialkompetenz der Schülerinnen und Schüler stärken. Dies geschieht vielfach en passant durch die Anwendung diverser Lernstrategien, z. B. indem die Lerner in Selbst- und Fremdbeobachtung über ihr eigenes Wissen und Können und das der Mitschüler reflektieren. Im Dialog mit der Lehrkraft und/oder der Lerngruppe sowie der Klasse erweitern sie nicht nur ihren fachlichen Horizont, sondern stärken auch ihre Kommunikationskompetenz und Beziehungsfähigkeit.

Lernen lernen – Metakognition

Grundzüge der Theorie

Kurz gesagt, bedeutet Metakognition das Wissen bzw. „Denken über das Denken“. Die ersten theoretischen Annahmen zur Metakognition wurden in den 1970er Jahren in der Entwicklungspsychologie gemacht.  John Flavell wollte unter dem Begriff des „Metagedächtnisses“ erklären, warum Kinder und Jugendliche ihnen bekannte Lernstrategien oft nicht nutzen. Nach Flavell (1979) lassen sich zwei Dimensionen unterscheiden:

  • den deklarativen Aspekt, der das Wissen des Lerners über den Lernprozess und das -produkt umfasst, und
  • den exekutiven Aspekt, der alle Kontroll- und Steuermaßnahmen im Hinblick auf das Lernen betrifft. Die metakognitive Steuerung bezieht sich auf alle Aktivitäten der Planung, Regulierung und Bewertung während des Lernprozesses. Die Kontrolle stellt fest, wo der Lerner sich im Lernprozess befindet, ob er auf dem Weg zum Ziel ist und ob er die in der Planung gesetzten Zwischenziele oder gar das Endziel erreicht hat.

Der deklarative Wissensaspekt wurde in der Arbeitsgruppe um Flavell weiter verfeinert. Demnach lässt sich das Wissen über Kognition spezifizieren in Person-, Aufgaben- und Strategiefaktoren und die zusätzliche Kategorie der Sensitivität (Hasselhorn, 1992).

  Bedeutung für die Schulische Praxis

Den metakognitiven Wissensaspekten kommt in der schulischen Praxis eine erhöhte Bedeutung zu. Denn Schülerinnen und Schüler müssen wissen, in welcher Situation welche Strategie am besten angewendet werden kann. Hierzu nutzen sie:

  • Personenmerkmale: Ein erfahrener Lerner kann seine Lern- und Erinnerungsmöglichkeiten sehr gut einschätzen. Er weiß nicht nur, wie umfangreich eine Lerneinheit sein darf, so dass er sie noch lernen und erinnern kann, sondern er zieht auch psychische und vegetativen Faktoren, wie z. B. Lernzeiten und Ruhephasen, mit ein. Er besitzt somit Wissen über das eigene kognitive System, dessen Funktion und seine Grenzen.
  • Aufgabenmerkmale: Ein effizienter Lerner erkennt, wie eine Aufgabe beschaffen ist und welche Anforderungen sie stellt. Auf dieser Grundlage wählt er passende Lernstrategien aus, z. B. eine Karteikartenabfrage zum Vokabellernen.
  • Strategiemerkmale: Die Auswahl geeigneter Strategien im Lernprozess setzt die Kenntnis über allgemeine und spezielle Lern- und Behaltensstrategien voraus. Der Lerner weiß nicht nur, für welche Aufgabe welche Strategie am besten geeignet ist (spezifisches Strategiewissen). Er ist auch in der Lage, die Vorzüge diverser Strategien gegeneinander abzuwägen (relationales Strategiewissen (Borowski und Turner, 1990).
  • Sensitivität: Letztlich bedarf es auf Seiten des Lerners einem Gespür dafür, dass eine spezifische Lernsituation einer strategischen Aktivität bedarf. Ein geübter Lerner erkennt, dass sich die in dem einen Kontext eingeübte Lernstrategie auch in einer zweiten veränderten Lernsituation nutzen lässt. Weiterhin zeigt er die Bereitschaft dies auch zu tun. Damit kommt es in diesem Punkt zu einer Vernetzung der Metakognition mit der Motivation des Lerners (Hasselhorn, 1992).

Erfolgreiches Lernen hängt also auf Seiten des Lerners erheblich von der Auswahl der richtigen Lernstrategie ab. Auf Seiten der Lehrkraft bedarf es aber eben dieser Metakognition, um entsprechend dem Wissensgegenstand oder der zu vermittelnden Fähigkeiten und Fertigkeiten ein entsprechendes Lernarrangement zu bieten oder eine geeignete Lehrmethode zu wählen.

Vom Behaviorismus bis hin zum Konstruktivismus haben die theoretischen Ansätze, ebenso wie die praktischen Implikationen für die Unterrichtspraxis unverändert Gültigkeit. Lediglich ihre Unbedingtheit wurde – auch geschuldet dem wissenschaftlichen Fortschritt – aufgeweicht. Die richtige Wahl des passenden Lernsettings und der entsprechenden Lernstrategie werden dem individuellen Lernprozess am besten gerecht.  

Literatur

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